Meine Zeit am GCM
2.9. 2020
Liebes Tagebuch (haha, wieso beginne ich eigentlich so? das mache ich sonst nie…) ich bin aufgeregt, weil ich gar nicht weiß, was mich in den nächsten 5 Jahren erwartet. Heute beginnt eine ganz neue Epoche meines Lebens. Zum allerersten Mal das Gebäude betreten. Gleich darauf folgte eine große Umarmung von einer fremden Frau im lila Pulli. In dem Moment wird mir klar: für die nächsten Jahre bin ich wohl ihr Kind, obwohl ich sie nicht mal kenne.
Wen sollte ich noch erwähnen? Ach ja, ich glaube, ich habe meinen neuen Erzfeind
gefunden- sie heißt Agnes (oder so ähnlich), trägt eine rote Jacke und scheint nicht
zu wissen, wie man schweigt. Auf der anderen Seite gibt es Viktoria, ich wette, wir
werden mal sehr gute Freundinnen sein.
14.10.2020
Update- es wird darüber gesprochen, dass wir wieder geschlossen werden. Alle
sehen so aus, als ob sie sich schon zurechtgefunden hätten. Alle außer mir. In Fällen
wie dieser verfluche ich meine introvertierte Persönlichkeit. Übrigens, die
sympathische Viktoria hat die Schule gewechselt. So viel also zu meinem Versuch,
neue Freundschaften zu finden.
Bitte, bitte, bitte- lass uns wieder in den Lockdown gehen.
20.5.2021
Ich habe begonnen, mein Tagebuch auf Deutsch zu führen, deswegen werden meine
nächsten Einträge wohl ein wenig holpriger sein. Wie läuft mein Schulleben nach
einem Halbjahr in Quarantäne? Kurz gesagt: unveränder. Ich lebe mein bestes
Leben, an die Schule denke ich dabei kaum (Immerhin schneide ich besser ab als
meine Mutter während ihrer Gymnasialzeit. Im schlimmsten Falle kann ich noch ins
Allgemeinstudium wechseln.)
Doch ab morgen wird alles anders- wir kehren zurück. Und ich frage mich, wie ich es
dort aushalten soll – ohne eine einzige verwandte Seele.
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19.9.2021
,,Ich bin Pfadfinderin, deswegen habe ich ziemlich nah zu kleinen Kinder----,´´
,,Kindern,´´ korrigiert mich bei meiner Vorstellung für das erste Mal in meinem Leben
die Frau mit der gelben Kulturtasche. Ich atme tief ein und schwöre mir, diesen
Fehler nie mehr zu wiederholen.
Seit dem Sommer hat sich vieles verändert (jedoch nicht im Bereich der
Freundschaften, ich bleibe weiterhin ein Outsider), ich habe nämlich viel
nachgedacht und bin zur Schlussfolgerung gekommen, dass ich das Lernen
bisschen ernster nehmen will. Und wenn ich diesem Ort schon sieben Stunden
meines Lebens opfern soll, sollte es sich wenigstens irgendwann lohnen. Das alles
gilt allerdings nicht für Mathe und Physik. Diese Fächer muss ich einfach irgendwie
überleben.
30.7.2022
Das Gebäude wirkt nicht mehr so grau wie früher. Die meisten Seelen um mich
herum kann ich inzwischen als ,,Freunde´´ bezeichnen- mit einer kleinen Ausnahme:
diese Agnes in der roten Jacke, die eigentlich gar nicht Agnes heißt und in der
letzten Zeit nur noch schwarz trägt, aber egal. Ganz nebenbei, ich habe einen bunten
Jungen aus meinem Dorf kennengelernt. Und rate mal, er besucht auch dieses
Gebäude. Ständig spricht er von irgendwelchem Paragraphen 363 und ich gebe so
vor, als ob ich wüsste, wovon die Rede ist. Seitdem interessiere ich mich ein
bisschen mehr für die Politik und verstehe sogar ab und zu den Unterricht mit dieser
Lehrerin mit gelber Kulturtasche.
Außerdem habe ich mich mit Frau mit kurzen lila Haaren angefreundet (okay,
angefreundet wäre ein zu starkes Wort), jedenfalls, sie leiht mir Bücher auf Deutsch.
Ich glaube, ich habe auf sie Eindruck gemacht. Ich habe keine Ahnung warum, aber
ihre Meinung ist mir irgendwie wichtig geworden.
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3.9.2022
September. Wieder all die alten Gesichter. Der Rückkehr in die Schulbank fällt mir
dieses Mal ein wenig leichter. Ein, zwei, drei Paare fremder Augen und man muss
sich immer wieder aufs Neue vorstellen.
Die grünen Augen fragen aber nicht nach unseren Namen, sondern nach unserer
Beziehung zu ihrem Fach.
,,Ich halte Mathe für …. für sehr interessant, allerdings war ich nie gut darin und
dieser Fluch wird mir bis zum Ende meines Lebens verfolgen´´, höre ich meine
Stimme und die grünen Augen gucken mich einfach nur still an.
11.11.2022
Ich habe sie gefunden.
Ich habe sie, ich habe sie und werde sie nie wieder loslassen! Die verwandte Seele
saß doch die ganzen zwei Jahre im selben Raum. Sie hat feine, blonde Haare und
ich weiß, dass ab diesem Punkt die restliche Schulzeit eine ganz neue Dynamik
bekommt. Ich habe sie!
8.1.2023
Mein Deutsch wird fließender-das merke ich daran, dass mich die Frau mit gelber
Kulturtasche nicht mehr bei jedem dritten Wort korrigiert. Nachts habe ich begonnen
heimlich Matheaufgaben zu lösen. Der Mann mit den grünen Augen hat es bemerkt.
Wenn ihm beim Rechnen etwas nicht passt, fragt er nach meiner Lösung. Schade,
dass ich so dumm bin, sonst würde ich über Matheabitur nachdenken.
Und da gibt es noch eine Seele, vielleicht wäre es besser, sie Geist zu nennen, denn
sie trägt ständig dasselbe lange weiße Kleid. Sie hat meine Begeisterung für die
Sprache entdeckt und seitdem beantwortet sie geduldig meine lästigen Fragen und
bringt mir sogar manche grammatischen Ausnahmen bei. Ich kann mich an keinen
Menschen erinnern, der mich je mehr in meiner Vorliebe unterstützt hat. Ohne sie
kann ich mir dieses Gebäude nicht mehr vorstellen.
20.6.2023
Wir alle sind ein bisschen verwirrt. Heute sollen wir über unsere Zukunft entscheiden.
Okay, das klingt bisschen dramatischer als es in der Tat ist- bis heute müssen wir
nämlich unsere Leistungskurse für das nächste Jahr wählen.
Was willst du mal werden? Wann ist es passiert, dass diese Frage nicht mehr nur
rhetorisch gestellt wird?
Die Wahrheit ist, dass ich die Antwort schon seit einem Halbjahr kenne. Die grünen
Augen schauen mich ermutigend an, als mein Name auf dem Blatt Papier genau bei
ihrem Fach auftaucht.
Die Frau mit dem langen weißen Kleid ist gekommen, um sich zu verabschieden.
,,Verabschieden? Nicht für immer?,´´ fragen verblüfft die Stimmen herum.
,,Doch,´´
Meine Augen beginnen zu tränen.
Es fällt mir schwer zu begreifen, dass manche Seelen nur kurz unser Leben betreten
- und trotzdem Spuren hinterlassen... Doch während sich einige verabschieden,
treten andere näher.
Übrigens, habe ich schon erwähnt, dass die Agnes zu einer meiner besten
Freundinnen geworden ist? So viel also zu diesem Schuljahr.
25.10.2023
Das Gebäude ist so bunt geworden, dass ich dort am liebsten meine ganze Zeit
verbringen würde.
Überall höre ich Klavier spielen.
Auf jeder Ecke - Augen.
Seit Passau hat sich vieles verändert. Die vergessene vierte N ist zur
unzertrennlichen Verbündeten der fünften geworden. Nach dem Unterricht bleibe ich
noch stundenlang in den Tiefen der Schule, um zu debattieren oder Mathe mit
übermotivierten Mitschülern zu rechnen.
30.6.2024
Ein weiteres Schuljahr liegt hinter uns - und hinter der Tür wartet der letzte GCM-
Sommer. In zwei Stunden beginnt das Abschlusskonzert unserer Schulband. Und
ich? Statt mich fertigzumachen, verliere ich mich wieder in dieser Nostalgie
Wo sind all die Jahre hin…
Die Frau mit der gelben Kulturtasche korrigiert mich weiterhin. Ich weiß längst, dass
das nie aufhören wird - aber inzwischen verstehe ich wenigstens, welchen Sinn das
alles hatte.
Die grünen Augen halten mir weiterhin die Daumen.
Das weiße Kleid denkt an ihre Schulkinder aus Rom.
Die kurzen lila Haare sehen mich nicht mehr minderwertig - in September fliegen wir
gemeinsam nach Berlin. Ihre Anerkennung kam. Paradoxerweise jetzt, wo ich
danach nicht mehr verlange.
Vor einer Woche haben wir unser Abitur gemacht. Wir sind alle extrem erleichtert und
das Leben ist auf einmal so schön.
Jetzt fehlt nur noch Esta. Der letzte Ton.
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7.4.2025
Liebes Blatt Papier,
bis morgen muss ich einen Aufsatz über meine Zeit am GCM für die Frau mit gelber
Kulturtasche geschrieben haben. Mindestens hundertmal habe ich schon versucht,
diese Epoche meines Lebens zusammenzufassen- jedes Mal habe ich dabei
entweder vor Rührung geweint oder den Text einfach zu kitschig gefunden.
Wie kann man auf höchstens drei Blättern Papier den größten Umbruch in seinem
Lebens schildern? All diese Gefühle, all diese Augenblicke, die Menschen die hinter
meiner heutigen Persönlichkeit stehen……
Warte mal. Ich habe eine Idee…
Liliana Križanová, V.N
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